Montag, 13. Juni 2016

Wie dicht am Fund ist möglich/sinnvoll/erstrebenswert?

Nachdem es hier in den letzten Monaten sehr ruhig war, einfach weil ich viel gewebt, aber nichts Diskussionswürdiges zu schreiben hatte, hier mal endlich ein neuer Post.
Oft hört man die Aufforderung sich an Fundbelege bei der Ausrüstung zu halten. Das mag am besten beim Metall gehen, da hier noch viel erhalten ist, aber beim Textil sieht es schon schwieriger aus. Oft fehlen konkrete Funden und wenn, gibt es nur korridierte cm-große Stücke an Metallbeigaben. Das, was man findet, ist oft in Gräbern gefunden worden, was ebenfalls wieder eine Sondersituation ist. Und die ganz große Seltenheit sind komplette Kleidungsstücke wie zum Beispiel die Funde in

Baumsärgen aus der Bronzezeit in Dänemark: Bronzezeit im NatMus Dänemark
oder 
die Lendbreen Tunika aus dem Gletschereis: Film über Fund und Rekonstruktion
oder
aus den römisch beeinflussten Gebieten Vorderasiens, zum Beispiel aus Palästina
oder 
aus den Steppengebieten Asiens, hier unter anderm aus dem Tarimbecken

Für die vielen Zeiten und Regionen aus Mitteleuropa z. Bsp. gibt dagegen die Fundlage recht wenig her, wenn es um die Reproduktion von Kleidungsstücken geht. Zumindestens kann man zu den verwendeten Stoffen gelegentlich eine Aussage treffen, wie zum Beispiel zu den Stofffunden des Elisenhofs in Norddeutschland aus der Zeit des Frühmittelalters.
Erste Information zum Fundort findet ihr hier: Elisenhof bei Wikipedia




Bei der folgenden Arbeit beziehe ich mich auf das Buch:

Hundt, Hans-Jürgen 

Die Textil- und Schnurreste aus der frühgeschichtlichen Wurt Elisenhof (Studien zur Küstenarchäologie Schleswig-Holsteins. Ser.A, Elisenhof)

Lang, 1981

Dort werden die verschiedenen Funde beschrieben und dargestellt, in den für Weber klaren und sauber angefertigten Zeichnungen. Meine Absicht war, für einen Auftrag eins der dort dargestellten Textilfragmente nachzuarbeiten und zwar das Fragment E-91c.

Hierzu heißt es:

"Kleines Stück von einem dunkelbraunen 2/2 Rautenköper (Hundt benutzt hier Rautenköper synonym zu Diamantköper). Wolle mit Grannenhaaranteil. Kette: schwarzbraunes z-Garn von 0,5 - 0,7 mm Stärke: Dichte 10 Fäden auf 1 cm. Schuß: braunes s-Garn von 1-1,5 mm; Dichte 6 Fäden auf 1 cm. Umkehr im Schuss nach 9, in der Kette nach 10 Fäden." Hundt (s.o.), S. 108

Was heißt das jetzt für die Umsetzung?
1. Das Garn für das Original war von einer eher ursprünglichen Schafrasse gewonnen (Grannenhaare weisen auf zweilagiges Fell hin),
2. handgesponnen in zwei Spinnrichtungen und wahrscheinlich
3. am Gewichtswebstuhl gewebt,
4.das Garn war nicht gefärbt, sondern wurde in zwei natürlichen Farbschattierungen verwendet
5. die Bindung war ein gleichseitiger Diamantköper mit einem Rapport (sich wiederholendes Bindungsmuster) von 10 Fäden in der Kette und 9 Fäden im Schuss und wies eine
6. geringere Schussdichte wie Kettdichte auf.
Bei einigen dieser Punkte musste ich Abstriche machen und vom Original abweichen, erstens aus Zeit- und 2. aus Materialbeschaffungsgründen. Der Stoff soll ja erschwinglich bleiben und deshalb fiel für 1. und 2. die Vorbereitung des Vlieses und  das Handspinnen mit der Spindel von vorneherein aus. 
Hier gibt es eine interessante Übersicht über den Zeitbedarf beim Spinnen, am Spinnrad!!!
Auch die 3): das Weben am GWS entfiel aus demselben Grund, es ist deutlich zeitintensiver als das Weben am "modernen' Trittwebstuhl.


Zu 4): Ich wählte Einband, ein Garn in z-Spinnrichtung aus Islandschafwolle aus, das ebenfalls mit Grannenhaaren industriell versponnen wird  und in Naturfarben erhältlich ist. Mit einer Lauflänge von 450 m pro 100 g liegt es im Groben zwischen dem Originalkettgarn und -schussgarn.

Da es sehr schwierig ist, hier ein einfädiges Garn in Naturfarben und der richtigen Stärke zu bekommen, ganz zu schweigen von den unterschiedlichen Spinnrichtungen, entschloss ich mich, auch für den Schuss Einband zu verwenden.


5): die Bindung ist ohne Probleme am Trittwebstuhl zu realisieren und auch der Schussrapport ist einfach

6): als Ausgleich für den fehlenden Unterschied von Kett- und Schussgarn entschloss ich mich, die Kette mit 9 F/cm einzuziehen, aber nur 6 - 7 Schüsse pro cm einzutragen, so dass das Originalbild so in etwa erhalten bleibt.

Das Ergebnis gefällt mir recht gut, auch wenn ich Kompromisse eingehen musste! Bei einer Reproduktion sind außer dem Original auch immer die Prämissen zu beachten und die heißen sich an Zeitvorgaben, verfügbarem Material und vorhandenen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu orientieren. Von daher kann es sich immer nur um eine Annäherung, nie um eine 1:1 Kopie handeln!


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